Industriegelände

Schildtext und Kurzinformation

Dieses Industriegelände war Sitz folgender Unternehmen:

  • bis 1903 Franz Louis Hüttel – Konstrukteur des Cyclon-Motorrades
  • ab 1903 Fa. Nocken – Walzprodukte
  • ab 1914 Fa. Diezmann und Schönherr Schnelldrehmaschinen
  • ab 1945 bis 1992 Großdrehmaschinen-Werk Erlau

Wie in nachstehenden Erläuterungen ersichtlich, sind somit einige Fehler auf dem Schild vorhanden, was die genaue Bezeichnung der verschiedenen Firmen betrifft.

Detailinformationen

Die industriell-gewerbliche Tätigkeit in diesem Areal lässt sich grob in 5 wesentliche Zeiträume einteilen:

  • Bis 1903 – Cyklon-Fahrrad- und Maschinenfabrik Hüttel & Kippe, Erlau in Sachsen (Auf dem Schild ist der Partner Kippe nicht enthalten)
  • 1903 – 1914 Kratos-Werke Erlau, Gaedt & Nacken (die Schreibweise auf dem Heimatschild ist offensichtlich falsch)
  • 1914 – 1945 Diezmann und Schönherr
  • 1945 – 1992 Großdrehmaschinenwerk „8. Mai“ Erlau
  • Ab 1992 Kleingewerbe und Reifendienst Zwillich

Für die einzelnen Firmen sind unterschiedlich detaillierte Informationen verfügbar, die je nach Recherchelage kontinuierlich ergänzt werden.

Straßenansicht des heutigen Zustandes

Cyklon-Fahrrad- und Maschinenfabrik Hüttel & Kippe

Das Unternehmen Hüttel wird in der Chronik von Erlau von Max Türk nur beiläufig als „… Fahrradfabrik, die nur kurzen Bestand hatte …“ erwähnt. Gegründet wurde es als „Cyclon-Fahrradwerke Hüttel & Kippe“ Anfang 1897, wie nebenstehender Zeitungsannonce entnommen werden kann (Link zur SLUB Dresden).

Anfangs beschäftigte sich das Unternehmen mit der Entwicklung und dem Bau von Fahrrädern und Komponenten, wie Ausführungen im Polytechnischen Journal belegen:
Im Jahr 1898 wird über die Entwicklung einer Zwillingsvorderradgabel von Hüttel und Kippe berichtet (siehe unter diesem Link).

Allerdings war es eben doch mehr als nur eine Fahrradfabrik, nämlich eine der ersten Manufakturen in Deutschland, die motorbetriebene Fahrräder bauten. Hüttel montierte kleine Bezinmotoren, die etwa 1899 auf den Markt kamen, an den Lenker über dem Vorderrad. Der Antrieb erfolgte über einen Riehmen, der Tank wurde in den Rahmen integriert. Damit war das erste Motorrad der Cyclon-Fahrradwerke erfunden und wurde 1900 der Öffentlichkeit vorgestellt. Aus nicht mehr nachprüfbaren Gründen erfolgte dann aber die Übersiedelung nach Berlin, wo Franz Hüttel gemeinsam mit seinem Co-Konstrukteur Vasile Sfetescu ein ‚Automobile‘ entwarf, das unter dem Markennamen ‚Cyklonette‘ von da an erfolgreich vermarktet wurde.

Offensichtlich gab es bereits zu damaligen Zeiten ähnliche Patentstreitigkeiten wie heute in heiß umkämpften Branchen. So berichtet diese Internetseite der Robur-Werke darüber. Offensichtlich haben Hüttel und Sfetescu auch für dieses Unternehmen gearbeitet bzw. konstruiert.

Der nebenstehende Auszug aus einem Verzeichnis der zum 1. Januar 1907 eingetragenen Warenzeichen weist noch die Firma in Erlau auf, die sich mit der Fahrradproduktion, aber auch mit Motoren beschäftigte. Die Marke ‚Cyklonette‘ ist dann erst für Berlin registriert.

Weitere Erläuterungen als Auszug der Ausführungen von Karl Rannacher 2011:

Bereits im Jahre 1900 erblickten in dem Erlauer Betrieb die ersten „Cyklon-Motor-Zweiräder“ das Licht der Welt. Es war dies praktisch ein mit Motor angetriebenes Fahrrad.

Typische Merkmale waren der über dem Vorderrad stehende Einzylinder-Viertakt-Motor, der Riemenantrieb und der Oberflächenvergaser, welcher sich zunächst mit dem Benzinbehälter im Rahmen befand. Da das Fahrzeug noch keine Kupplung, wie wir sie heute kennen, besaß, wurde der Riemen durch eine kleine Andruckrolle gespannt bzw. gelockert. Der Motor hatte einen Hubraum von 300 ccm und erreichte dabei eine Leistung von 1,5 PS, die später auf 3 PS erhöht wurde.

Leider sind ganz wenige dieser Fahrzeuge noch erhalten. Das Foto zeigt ein „Cyklon-Motor-Zweirad“ des Baujahres 1901 in einer Sonderausstellung im Motorradmuseum Augustusburg im Sommer 1991.

Weitere Informationen – besonders zur erfolgreicheren Berliner Phase des Unternehmens – finden sich in folgenden Quellen:

Archiv Axel Oskar Mathieu: https://archiv-axel-oskar-mathieu.de/pdfs/Cyklonette.pdf

Friedrichshainer ZeitZeiger (Detlef Krenz): https://fhzz.de/mit-der-cyklonette-ins-autozeitalter/

Karl Rannacher (2011): Informationsblatt der Gemeinde Erlau Februar 2011

Jürgen Bönig: Die Einführung von Fliessbandarbeit in Deutschland bis 1933: zur Geschichte einer Sozialinnovation, Band 1, LIT Verlag Münster, 1993 – 572 Seiten

Paul Gränz / Peter Kirchberg: Ahnen unserer Autos. Eine technikhistorische Dokumentation Transpress VEB Verlag für Verkehrswesen Berlin, 1975

Jul. Küster: Patent-, Muster- und Markenschutz in der Motoren- und Fahrzeug-Industrie. Autotechnische Bibliothek Band 30. Richard Carl Schmidt & Co. Berlin 1908.

Eröffnungsanzeige im Riesaer Anzeiger vom 20.01.1897 (Quelle: SLUB Dresden urn:nbn:de:bsz:14-db-id1666408611-189701205)
Eröffnungsanzeige im Mittweidaer Wochenblatt vom 13.01.1897
Darstellung der entwickelten Vorderradgabel (Quelle: http://dingler.culture.hu-berlin.de/article/pj308/ar308062)
Cyclon-Motorzweirad 1991 in Augustusburg (K. Rannacher)
Eingetragene Warenzeichen 1907 (aus Jul. Küster: Patent-, Muster- und Markenschutz in der Motoren- und Fahrzeug-Industrie)

Kratos-Werke Erlau, Gaedt & Nacken

Nach der Chronik von Erlau von Pfarrer Max Türk wurde dieses Unternehmen 1905 zunächst als Unternehmen für Haus- und Küchengeräte gegründet. In einer Unternehmenspräsentation der Kieselstein-Gruppe (einem heute noch existierenden Nachfolgeunternehmen aus der Drahtherstellungsbranche) erfolgte die Gründung am 3. Juli 1905. Bereits 1907 gab es eine weitere Firmenniederlassung in Chemnitz-Grüna.

Im Jahr 1911 beschäftigte sich die Firma dann mit der Drahtzieherei und der Herrichtung von Walzwerk-Produkten. Dies spiegelt sich auch in einer Viezahl an Patentinformationen des Unternehmens in der damaligen Zeit wieder:

1905 Patentschrift Nr. 175790 für einen Zeitungshalter mit starrer und elastischer Schiene, zwischen welchen die Zeitungsblätter eingeklemmt sind

1911 Nr. 43166 Mehrfachdrahtziehmaschine mit Stufenscheibe …

1912 Nr. 240236 Vorrichtung zum Zu- und Abführen des Kühlwassers an Stufenscheiben bei Mehrfachdrahtziehmaschinen

1912 Nr. 242566 Mehrfachdrahtziehmaschine mit Stufenscheibe …

1914 Nr. 272471 Vorrichtung zum Gleichhalten der Spulgeschwindigkeit bei Drahtziehmaschinen

Dieses Unternehmen siedelte später dann vollständig nach Chemnitz-Grüna um. Im Archiv des Freistaates Sachsen (https://archiv.sachsen.de/archiv/bestand.jsp?guid=728f4a1a-5303-4a88-998e-1d45457546a3) findet sich ein Hinweis auf das Jahr 1911 zur Schätzung der Fabrikgrundstücke des Kratos Werkes Erlau Gaedt & Nacken vom 25.8.1911 und gleichzeitig auf die Dokumente zur Unternehmensgründung Diezmann und Schönherr.

Diezmann und Schönherr

Das Unternehmen wurde durch Arno Diezmann und Willy Schönherr 1911 gegründet und befasste sich mit dem Bau von Drehmaschinen. Das Unternehmen muss bereits eine Niederlassung in Waldheim besessen haben, die sich mit der Minenbearbeitung beschäftigte.  Offensichtlich aber erfolgte eine Verlegung/Erweiterung von Waldheim nach Erlau, wie der Text auf dem Foto vermuten lässt. Dort steht in Kreide geschrieben:

„Zur Erinnerung an die Verlegung des kaufmännischen u. technischen Büros nach Erlau Waldheim a. 20. Febr. 1915.“

Vielen Dank für die Veröffentlichungserlaubnis des Bildes an M. Löwe, der es auf seiner Internetpräsenz zu Waldheim ebenso zeigt.

Gemäß den oben erwähnten Archivinformationen erfolgte 1932 die Fusion mit weiteren Unternehmen aus der Metallbranche (Liebert & Gürtler, Werkzeugmaschinenfabrik, Döbeln/Sa., G. A. Bräuer & Co., Werkzeugmaschinenfabrik, Chemnitz) zum neuen Unternehmen “ Vereinigte Sächsische Drehbankfabriken Diezmann & Schönherr – Liebert & Gürtler – G. A. Bräuer Kommanditgesellschaft „.

Über den Übergang in Volkseigentum ist aktuell noch nichts konkretes bekannt, allerdings gibt es noch einen Handelsregisterauszug der Maschinenfabrik Dietzmann & Schönherr, Erlau (AG Mittweida, HRA 68) vom August 1948 sowie ein Dokument zur Nachenteignung des Wohngrundstücks der Familie Dietzmann in Erlau, Nr. 10.- Aufstellung der Grundschulden per 8.5.1945. Also wird unmittelbar mit den Ende des Krieges der Unternehmensübergang eingeleitet worden sein.

Schild zur Verlegung von Waldheim nach Erlau (M. Löwe, https://waldheim-sachsen.de/)
Darstellung des Unternehmensgeländes zum 25jährigen Jubiläum (J. Kunath)
Belegschaftsfoto zum 25jährigen Jubiläum (J. Kunath)
zeitgenössische Werbung für Drehmaschinen
Anzeige aus Tageblatt Mittweida 07.08.1930

Großdrehmaschinenwerk Erlau (VEB „8. Mai“)

Es existiert im Archiv eine Aufstellung des volkseigenen Grundbesitzes per 31.1.1950 der Werkzeugmaschinenfabrik Erlau und Eisen- und Metallgießerei, Erlau.- Grundstückswerte lt. Eröffnungsbilanz zum 1.7.1948. Dies kann daher als Übergangsdatum angesehen werden.

Das Unternehmen wurde später in den VEB Großdrehmaschinenbau „8. Mai“ Karl-Marx-Stadt sowie das VEB Werkzeugmaschinenkombinat „7. Oktober“ Berlin eingegliedert. Die Produktion von Großdrehmaschinen war dabei Hauptbetätigungsfeld.

Einige ergänzende Informationen finden sich dabei in der Ausgabe Juni 2015 des Museumskuriers des Chemnitzer Industriemuseums sowie auf der Geschichts- und Einleitungsseite des Archivbestandes zum VEB 8. Mai.

Nach der Wende erfolgten dann ziemlich rasch die Reduzierung der Mitarbeiter und die Liquidation des Unternehmensteils in Erlau.

Verladung einer Drehmaschine am Bahnhof Erlau
Verladung einer Drehmaschine, im Hintergrund das BHG-Gebäude